INSTITUT FÜR RELIGIONSWISSENSCHAFT Künstliche Intelligenz als religionsanaloge Formation: Praktiken, Bedeutungen, Auswirkungen
Das Projekt untersucht kulturelle, mediale und soziale Transformationen, die durch den wachsenden Einfluss künstlicher Intelligenz (KI) ausgelöst werden. Es geht davon aus, dass KI zunehmend als religionsanaloge Formation wirksam wird – also als kulturelle Praxis, die Orientierung, Sinn und Bindung stiftet und soziale Wirklichkeit strukturiert.
Untersucht werden drei zentrale Felder:
- Inszenierung und Präsentation von KI: In Museen, öffentlichen Diskursen, Medien und durch Technologieunternehmen wird KI häufig mit Heilsversprechen, Schöpfungsmetaphern oder Zukunftserwartungen aufgeladen. Greg Epstein spricht in diesem Zusammenhang von der „mächtigsten Religion der Welt“ (2024).
- Alltäglicher Umgang mit KI-Systemen: Der Einsatz von ChatGPT, sozialen Robotern, KI-gestützten Apps und Plattformen verändert unser Selbstverhältnis. Persönliche Fragen, die früher im sozialen Nahbereich besprochen wurden, werden zunehmend an KI delegiert. So entstehen neue Bindungen, die nicht nur funktional, sondern affektiv aufgeladen sind.
- Einsatz von KI in gesellschaftlichen Schlüsselbereichen: In Medizin, Recht, Bankwesen oder Shopping wird KI als angeblich objektives Werkzeug behandelt. Tatsächlich basiert diese Praxis auf Vertrauen, Delegation von Verantwortung und dem Glauben an die Wahrheit von Daten – obwohl diese stets nur Ausschnitte liefern. In dieser Datenorientierung äußert sich eine Ideologie technologischer Erlösung, die strukturell religiöse Erwartungen an Heil, Ordnung und Wahrheit übernimmt (vgl. Becker 2025).
Wozu das alles?
Im Zentrum steht die religionswissenschaftliche Frage: Wie lassen sich diese Prozesse als Formen der Sinn- und Weltgestaltung fassen – und was sind ihre kulturellen Folgen?
Religion wird dabei heuristisch verstanden als ein Netz aus Praktiken, Diskursen und ästhetischen Formaten, das Beziehungen zu einer angenommenen transzendenten Ordnung herstellt und dadurch kulturelle Orientierung, emotionale Bindung und soziale Kohäsion ermöglicht (vgl. Meyer 2020; Taves & Plate 2021). Diese Mechanismen können auch in säkularen Kontexten wirksam werden – etwa in Technikdiskursen, die Zukunft, Rettung und Wahrheit versprechen.
Risiken und Nebenwirkungen
Solche formationsanalogen Strukturen stiften nicht nur Sinn, sondern können auch Wahrnehmung verengen, bestehende Machtverhältnisse legitimieren und symbolische Überhöhungen technischer Systeme erzeugen. Das Thematic Issue„Religion and Artificial Intelligence“ (Religion, 2025) zeigt in mehreren Beiträgen, wie diese Sakralisierung von KI dazu beiträgt, kritische Fragen zu verdrängen und gesellschaftliche Ungleichheiten zu verschleiern – unter anderem durch ästhetische Aufladung, mediale Wiederholung und politisch wirksame Zukunftsversprechen.
Fazit
Das Projekt analysiert, wie KI als kulturelle Formation unser Verhältnis zu Welt, Technik und Selbst tiefgreifend verändert – mit Auswirkungen, die sowohl Potenziale wie auch Gefahren bergen und nur durch religionswissenschaftlich geschulte Analyse angemessen verstanden werden können.