Blogbeitrag Von Astro Boy zu AIBO: Roboter und Religion in Japan

Natascha Macho, B.A.

veröffentlicht am 17.06.2025

Natascha Macho machte ihren Bachelor in Religionswissenschaft und Japanologie und studiert aktuell im Masterstudium Religionswissenschaft. Zu ihren Schwerpunkten zählen hierbei u.a. japanische Religionsgeschichte und Gegenwartsreligion, Populärkultur und Religion, sowie Religion und Technologien/Künstliche Intelligenz.

In der Vorstellung vieler Menschen gilt Japan als das Land der Roboter – ein Bild, das durch populäre Medien, Technologieikonen und gezielte Politik geprägt wird. Sonys AIBO, ein Roboterhund, Hondas ASIMO und Pepper sind hierbei zu Botschaftern von Japans Image als roboterbegeistertes Land geworden. Hier kümmern sich Roboter um ältere Menschen, unterstützen Eltern in der Erziehung, werden zu Sportpartnern oder sogar zu Begleitern für intime Beziehungen. Ingenieure wie Hiroshi Ishiguro und ihre spezifisch „japanische Art der Robotik“ verstärken das populäre Narrativ, dass Roboter einen besonderen Platz in der japanischen Kultur einnehmen. Oftmals wird hierbei eine kulturelle Verbindung zwischen Robotik und einer bestimmten Vorstellung von Animismus als ein besonderes Merkmal hervorgehoben. Doch wie ist dieses Bild konstruiert – und was sagt es über die Verbindung von Robotern und Religion in Japan?

Japans Robotik ist eng mit populärkulturellen Medien verknüpft. Animes wie Astro Boy dienen nicht nur als Inspiration für viele Ingenieure, sondern sind auch Teil der staatlichen Strategie zur Förderung der Robotik. Wirtschaftlich und politisch wird das Narrativ von „Japan, dem Roboter-Königreich“ durch staatliche Investitionen, die darauf abzielen, die Akzeptanz für Roboter im Alltag zu erhöhen, gezielt gefördert. Ein zentrales Narrativ ist die Vorstellung kultureller Einzigartigkeit, die an die literarische Praxis des Nihonjinronanknüpft und ein spezifisch japanisches Wesen beschreibt. Die Vorstellung einer spezifisch japanischen Identität und somit die kulturelle Unterscheidung dient als Werkzeug zur Gestaltung von Technologie. In diesem Zusammenhang spielt auch die Vorstellung des japanischen kokoro eine tragende Rolle. Der Begriff kokoro verweist auf das Denken und Fühlen eines Menschen und ist in Japan seit der Antike in Sprache und Schrift verbreitet. Die Japanologin Zdeňka Švarcová beschreibt kokoro als mentalen Raum, in dem Denk- und Gefühlsprozesse ablaufen. Diese Vorstellung sei dabei auch auf Tiere oder Objekte übertragbar. In Japan entstand auf Grundlage dieses Konzepts die Vorstellung eine verkörperte künstliche Intelligenz mit kokoro zu kreieren. Da hierbei Emotionen in den Mittelpunkt der Frage nach Intelligenz gestellt werden, gehen die japanischen Robotik-Ingenieure die Herausforderung einer künstlichen Intelligenz nicht so an, als gehe es darum, menschliche Intelligenz in einer Maschine zu modellieren. Vielmehr steht eine Gestaltungsperspektive im Zentrum, die auf die Möglichkeit einer affektiven Nähe zwischen Mensch und Roboter ausgerichtet ist. Roboter wie LOVOT oder Nicobo, sogenannte „schwache Roboter“, sind so entworfen, dass sie gezielt Affekte wie Zuneigung oder Fürsorge ansprechen. Sie sind technisch bewusst eingeschränkt und sollen vor allem emotional ansprechen. Diese Gestaltung ist somit nicht auf funktionale Effizienz ausgerichtet, sondern auf emotionale und soziale Anschlussfähigkeit. Dabei wird eine Beziehungskonstellation zwischen Mensch und Maschine entworfen, in der emotionale Nähe als zentrales Gestaltungskriterium fungiert. Der Begriff des Techno-Animismus, geprägt vom Anthropologen Okuno Takuji, beschreibt die Verschmelzung vermeintlich animistischer Vorstellungen mit moderner Technologie. In einem programmatischen Statement formuliert Okuno:

  • Seit dem Altertum glauben die Japaner, dass selbst das kleinste Insekt eine Seele hat, und in den Dörfern der Vergangenheit sahen die Menschen die Seele in allen Pflanzen, Bäumen, Insekten und Fischen und sprachen mit ihnen. Man kann sagen, dass Japan eine animistische Welt ist. Heute, da wir diese Natur verloren haben, sehen wir die Seele in den Maschinen. Mit anderen Worten: Wir sehen Lebewesen in Robotern. Ich möchte dies eine neue Art von Animismus nennen, 'Techno-Animismus'. Okuno Takuji (zitiert nach Katsuno & White, 2023, S. 302, eigene Übersetzung der Autorin aus dem Englischen)

Diese Vorstellung knüpft an ein kulturelles Selbstbild an, in dem eine vorgestellte naturverbundene Vergangenheit mit einer technisierten Gegenwart auf direktem Weg verbunden wird. Der Begriff Techno-Animismus fungiert nicht als analytische Kategorie, sondern als Teil eines kulturalisierenden Narrativs, das spezifische Konzepte von „Animismus“ strategisch mobilisiert. Die implizite Annahme, dass „die Japaner“ im Kern „animistisch“ seien, verweist auf eine Form kultureller Essenzialisierung, wie sie auch im Nihonjinron-Diskurs beobachtet werden kann. Aus dieser Perspektive erscheint die Verbindung von Technologie und kulturellen Zuschreibungen nicht als Ausdruck technischer Entwicklung, sondern als Teil eines Deutungsmusters, das kulturelle Besonderheit betont. Die Narrative legitimieren dabei eine bestimmte Form der Robotik durch Zuschreibungen kultureller Authentizität und rahmen sie zugleich als Besonderheit im globalen Technologiediskurs. Die Beschreibung als „Techno-Animismus“ wird damit zu einem rhetorischen Werkzeug innerhalb eines Diskurses, in dem kulturelle Unterscheidung als Ressource für Identifizierung und Differenzierung dient. 

AkteurInnen aus Wissenschaft und Design in Japan verweisen auf diese Rahmung, um Roboter zu entwerfen, die Zuschreibungen als eigenständige Wesen mit individueller Persönlichkeit erlauben. Diese Narrative dienen der Konstruktion eines Bildes einer einzigartigen japanischen Art der Robotik, die darauf abzielt, Maschinen zu schaffen, die Emotionen beim Menschen hervorrufen bzw. den Anschein erwecken selbst zu „fühlen“. 

Im Katalog der Großen Roboterausstellung, die 2007 im Nationalmuseum für Natur und Wissenschaft in Tokio stattfand, schrieb der Kurator Suzuki Kazuyoshi, 

  • Menschen in euro-amerikanischen Kulturen assoziieren mit Robotern keine organischen Bilder, wie die von Menschen oder Tieren. Roboter, die mit Menschen kommunizieren, wie Atomu (Astroboy), sind eine Besonderheit der japanischen Kultur. Suzuki Kazuyoshi (zitiert nach Katsuno & White, 2023, S. 302, eigene Übersetzung der Autorin aus dem Englischen)

Diese rhetorische Gewohnheit, die japanische Kultur als Gegenpol zur euro-amerikanischen zu konstruieren, wird in der japanischen Robotik häufig (re)produziert. Akteure wie Suzuki greifen dabei die Vorstellung auf, dass in Japan materielle Objekte besonders geschätzt werden, sodass Roboter als selbstverständliche und nicht-bedrohliche Mitglieder der natürlichen und sozialen Umwelt erscheinen.

Es wird deutlich, dass die Darstellung von Robotern als Bestandteil der lokalen Kultur, inklusive spezifischer Zuschreibungen und Zugriffen auf historische Narrative, das Produkt anhaltender Bemühungen von Regierung, Industrie und Wissenschaft ist, die die Legitimation und die Akzeptanz von Robotern in der Bevölkerung zu fördern versuchen, und dass solche Bemühungen soziale Werte (re)produzieren, die mit technologischen Visionen von Robotern verknüpft werden. Roboter fungieren in diesem Rahmen nicht nur als technologische Objekte, sondern als Projektionsflächen, auf denen gesellschaftliche Wünsche, normierende Werte und Zukunftsvisionen verdichtet werden. Mit diesem Ansatz lässt sich die Ko-Konstruktion von Robotik und Kultur in Japan in einem Kontext betrachten, in dem der Begriff der Kultur im technischen Diskurs explizit herangezogen wird, um Forschungsprojekte in einen lokalen kulturellen Rahmen zu stellen. Kulturelle Unterscheidung fungiert dabei als Element innerhalb der japanischen Robotik, das nicht nur rhetorische Rahmungen und öffentliche Präsentationen prägt, sondern auch in Konzeption, Entwurf und Gestaltung einfließt.

So lässt sich beobachten, dass sich der emotionsbasierte Schwerpunkt der japanischen Robotik durch Überschneidungen zwischen historisch-verwurzelten Narrativen, Roboterleistungen und technologischen Designstrategien entwickelt hat. Das Framing von Japans "einzigartiger Robotik" wird dabei sowohl innerhalb als auch außerhalb Japans in einer Weise politisiert, die die Frage der kulturellen Differenz gezielt als Werkzeug der Entwicklung, Gestaltung und Darstellung von Robotern in Japan einsetzt. Die Verbindung von Religion und Robotik zeigt sich in der Verwendung religiöser Rhetorik und spezifischer Zuschreibungen. Technologie wird dabei mit bestimmten Vorstellungen aufgeladen und als transformative Kraft präsentiert, die in der Lage sein soll, gesellschaftliche Herausforderungen zu bewältigen. Analytisch lässt sich diese Praxis als Teil kultureller Semantisierung fassen, in der Robotik nicht nur funktional erscheint, sondern mit Bedeutungen verknüpft wird. Diese Deutungen schließen in religionsanaloger Weise an Vorstellungen von gesellschaftlicher Ordnung, Sinn und Orientierung an. Die Semantisierung von Robotik mithilfe religiöser Rhetorik und Bezugnahmen auf spezifische Konzepte beschränkt sich dabei nicht auf die Stabilisierung von Identifikations- beziehungsweise Differenznarrativen, sondern greift mitunter auf Narrative zurück, die an Erlösungsversprechen erinnern und Technologie als transformative Kraft imaginieren. In diesem Kontext dominieren oft mystifizierte Vorstellungen von KI, die weniger auf den datenverarbeitenden Prozessen basieren, sondern vielmehr auf einer Aufladung durch Narrative von Fortschritt und Erlösung. Insgesamt zeigt sich, dass die Art und Weise, wie KI beschrieben und wahrgenommen wird, nicht nur technische Entwicklungen widerspiegelt, sondern auch kulturelle Deutungsmuster, die durch Narrative von Ordnung, Erlösung und Zugehörigkeit strukturiert sind. In diesem Sinne prägen kulturelle und religiöse Narrative nicht nur die gesellschaftliche Wahrnehmung von Technologie, sondern beeinflussen auch deren Gestaltung und Akzeptanz.

Literatur

Allgaier, Albert. “Nihon-Robotto-Ron: A Deconstruction of the Japanese ‘Robot Kingdom’ Phenomenon.” In Vienna Journal of East Asian Studies, Volume 7, eds. Rudiger Frank, Ina Hein, Lukas Pokorny, and Agnes Schick-Chen. Vienna: PraesensVerlag, 2015, S. 1-29. https://doi.org/10.2478/vjeas-2015-0001

Katsuno, Hirofumi; White, Daniel: “Engineering Robots with Heart in Japan: The Politics of Cultural Difference in Artificial Emotional Intelligence”. In: Stephen Cave and Kanta Dihal (Hgs.): Imagining AI: How the World Sees Intelligent Machines. Oxford: Oxford University Press, 2023, S. 295–317. 10.1093/oso/9780192865366.003.0019.

Robertson, Jennifer (2017): Robo sapiens japanicus: Robots, Gender, Family, and the Japanese Nation. Oakland, California: University of California Press.  10.1525/california/9780520283190.001.0001.

Sabanović, S. (2014): “Inventing Japan's 'robotics culture': the repeated assembly of science, technology, and culture in social robotics”. In: Social studies of science44(3), 342–367. https://doi.org/10.1177/0306312713509704